Systemisch? Ist das was mit Globuli?
- denisepannicke
- 12. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Nov.
Was systemische Beratung eigentlich macht (und was nicht)

Wenn ich erzähle, dass ich systemisch arbeite, kommen oft Rückfragen wie: „Ah, systemisch – ist das was mit Körperarbeit?“ Oder: „Also mehr so… alternativ?“ Oder mein persönlicher Favorit: „Das ist doch das mit den Aufstellungen, wo einer der Opa ist und weint?“
Also ja – irgendwie auch. Aber eben nicht nur.
Systemische Beratung ist kein esoterischer Nebel mit Familienaufstellungsgong, sondern eine fundierte, oft sehr alltagsnahe Herangehensweise an die kleinen und großen menschlichen Verknotungen. Und die schauen wir uns heute mal genauer an.
Alles ist miteinander verbunden. Ja, auch Tante Gisela.
Systemisches Denken geht davon aus: Menschen leben nicht im luftleeren Raum, sondern in Beziehungen, Systemen, Wechselwirkungen. Du bist nicht einfach so genervt – du bist genervt, weil dein Partner deine Zahnpastatube wie ein Bauarbeiter presst und, weil du gelernt hast, dass Ordnung = Sicherheit = Liebe ist. (beispielhaft)
Systemiker(innen) schauen also nicht nur auf das Individuum („Warum machst du das?“), sondern auch auf das Drumherum („In welchem Zusammenhang macht dieses Verhalten eigentlich Sinn?“).
Beispiel: Max (11) „flippt ständig aus“ – sagt die Mutter. In der Beratung wird klar: Jedes Mal, wenn sie ihren neuen Freund trifft, wird Max zum emotionalen Vulkan. Systemisch betrachtet: Max reagiert nicht „verhaltensgestört“. Er sendet ein Signal. (Ob er’s selbst weiß? Vermutlich nicht. Aber sein inneres System hat da so ein Frühwarnprogramm…)
Nicht fragen: Wer hat Schuld? Sondern: Was hält das hier eigentlich am Laufen?
Wenn etwas festgefahren ist – sei es die Beziehung, das Familienleben oder die eigene Motivation beim Thema „endlich mal früher schlafen“ – fragen wir systemisch nicht: Wer ist schuld? Sondern eher: Was sorgt dafür, dass es so bleibt? Und: Was würde passieren, wenn es plötzlich anders wäre? (Das ist oft der spannendste Teil.)
Beispiel: Ein Paar streitet ständig – Thema: Haushalt. Sie macht (gefühlt) alles, er (gefühlt) nichts. Beide sind genervt. Systemische Frage: „Was wäre anders, wenn er plötzlich alles machen würde?“ Antwort: „Dann würde ich mich überflüssig fühlen.“ Aha. Willkommen im System.
Perspektivwechsel – manchmal braucht’s dazu nur eine absurde Frage.
Systemische Beratung liebt verrückte Fragen. Nicht, weil wir komisch sind, sondern weil sie Türen öffnen.
Fragen wie: „Was würde Ihre Großmutter dazu sagen?“, „Wozu könnte dieses Verhalten nützlich sein?“, „Wenn das Problem morgen verschwunden wäre – woran würden Sie es merken?“
Beispiel: Eine Mutter klagt, dass ihr Sohn (15) sich ständig abkapselt. Nie redet. Nie hilft. Frage: „Was würde eigentlich fehlen, wenn er plötzlich der gesprächigste, hilfsbereiteste Teenager der Stadt wäre?“ Antwort (nachdenklich): „Dann hätte ich ja gar keinen Grund mehr, mir Sorgen zu machen.“
Ressourcenfokus: Du bist mehr als dein Problem.
Systemische Beratung schaut nicht nur auf das, was nicht läuft – sondern besonders auf das, was schon da ist. Stärken. Fähigkeiten. Beziehungen, die tragen. Die guten 10 %, auf denen sich aufbauen lässt. Und manchmal reicht ein kleiner Reminder:„Sie haben das alles bis hierher geschafft. Womit genau?“
Beispiel: Ein Vater fühlt sich völlig überfordert mit drei Kindern, Job und Trennung. Frage: „Wie haben Sie die letzten drei Monate überstanden?“ Antwort: „Ich weiß nicht. Ich hab’s halt gemacht.“ Systemische Rückfrage: „Dann scheint da ja eine ziemlich stabile Ressource am Werk gewesen zu sein.“(Ein leises Lächeln folgt. Ressourcen erkannt.)
Was macht die Beraterin jetzt damit?
Ich sitze nicht da und sage dir, was du tun sollst. Ich frage. Ich höre. Ich sortiere mit. Ich denke systemisch – und bringe Bewegung rein, wo alles festhängt. Ich sehe dich – im Kontext deines Lebens. Und manchmal frage ich einfach: „Was wäre, wenn nicht du das Problem bist – sondern das Muster, in dem du gerade steckst?“
Fazit:
Systemische Beratung ist wie eine gut gelaunte Lupe mit Tiefgang: Sie hilft, genauer hinzuschauen – aber nicht, um zu bewerten, sondern um zu verstehen und von dort aus neue Wege zu entdecken.
Ganz ohne Zauberstab. Aber manchmal mit erstaunlicher Wirkung.
Wenn du Lust hast, mehr über einzelne Methoden, typische Themen oder Interessantes aus dem Beratungsalltag zu lesen – bleib gern dran.



Kommentare