„Nicht streiten ist auch keine Lösung“ – Über stille Paare und die Angst vor Eskalation
- denisepannicke
- 31. Aug.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Nov.
Im Fokus – oder: Warum Paare, die nie streiten, mir manchmal Sorgen machen

„Wir streiten eigentlich nie.“ Dieser Satz klingt im ersten Moment nach einer Beziehungsmedaille in Gold. Kein Krach, keine erhitzten Diskussionen, kein Drama. Klingt harmonisch, oder?
Systemisch betrachtet höre ich da aber oft etwas anderes: Stillstand. Denn wenn zwei Menschen dauerhaft vermeiden, ihre Unterschiedlichkeiten zu zeigen, bedeutet das nicht, dass es keine Konflikte gibt, sondern, dass sie ungelebt bleiben - Und das kann auf Dauer die Lebendigkeit einer Beziehung leiser ersticken als jeder laute Streit.
Konflikte sind Energie im System
Streit ist kein Zeichen von Scheitern. Streit ist Bewegung. Er zeigt: Da sind zwei Menschen, die sich begegnen, die etwas voneinander wollen, die Erwartungen haben.
Wenn Konflikte tabu sind, passiert Folgendes:
Die Energie bleibt stecken. Was unausgesprochen ist, arbeitet im Hintergrund weiter.
Gefühle wandern nach innen. Statt mit dem Partner zu ringen, ringe ich mit mir selbst.
Nähe verliert an Tiefe. Wenn ich nicht zeige, was mich ärgert oder verletzt, zeige ich auch weniger von mir.
Streitlosigkeit wirkt dann wie eine Decke über dem Beziehungssystem: alles schön ordentlich, aber auch ziemlich erstickt.
Typische Muster hinter Streitvermeidung
Der Harmonie-Vertrag: „Wir halten die Stimmung immer freundlich.“ Klingt nett, führt aber dazu, dass wichtige Themen nie auf den Tisch kommen. Unter der Oberfläche brodelt’s trotzdem.
Der Sicherheitsmodus: „Streiten bringt doch eh nichts.“ Oft steckt hier die Erfahrung, dass einer am Ende immer „verliert“. Also lieber gleich schweigen.
Die Familienerbschaft: Wer in einer lauten, verletzenden Streitkultur aufgewachsen ist, verbindet Streit mit Gefahr. Logisch, dass dann die Devise lautet: bloß nicht.
Systemisch gesehen sind das alles Schutzstrategien – sie ergeben Sinn, weil sie Beziehungen stabilisieren sollen. Aber langfristig verhindern sie Wachstum.
Streit als Chance für Nähe
Paare, die lernen, sich zu streiten ohne sich zu verletzen, machen eine spannende Erfahrung: Es geht nicht darum wer Recht hat. Es geht darum, gehört zu werden.
Ein Streit kann Nähe schaffen, wenn er zeigt:
Meine Meinung zählt.
Ich darf wütend sein und werde trotzdem nicht verlassen.
Wir ringen miteinander, aber wir gehören zusammen.
Anders gesagt: Streit kann eine Liebeserklärung in rauem Ton sein.
Der Knackpunkt: Es geht nicht darum, wie laut gestritten wird, sondern wie sicher sich beide dabei fühlen.
Humorvoll betrachtet: Der Zahnpastastreit
Die berühmte Zahnpastatube. Einer quetscht von oben, der andere von unten. Streiten wir deshalb? Natürlich nicht. Wir streiten, weil es dabei um Ordnung, Gewohnheit, Wertschätzung oder Kontrolle geht. Die Tube ist nur die Bühne. Das eigentliche Stück spielt sich dahinter ab.
Wenn Paare diese Ebenen erkennen, können sie viel leichter entscheiden: Wollen wir wirklich über Zahnpasta diskutieren – oder über das, was uns eigentlich bewegt?
Lernt, den Konflikt zu halten
Konflikte verschwinden nicht, wenn wir sie meiden. Sie suchen sich andere Wege – in Form von Rückzug, Sarkasmus oder innerer Distanz. Systemische Beratung lädt Paare deshalb ein, Streit als Dialog zu verstehen. Nicht als Kampf. Nicht als Bedrohung, sondern als Ausdruck von Lebendigkeit.
BlickWechsel- Impuls für euch:
Fragt euch mal gegenseitig: „Über welches Thema sollten wir eigentlich öfter streiten – tun es aber nie?“
Sprecht darüber – ohne gleich eine Lösung finden zu müssen. Allein das Aussprechen dessen, was sonst verschwiegen bleibt, kann ein erster Schritt sein, wieder ehrlicher in Beziehung zu sein.
Bis zum nächsten BlickWechsel-Moment!
Denise Pannicke



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